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Das Fach Indologie

Was ist Indologie? Die direkte Bedeutung der Wortbildung `Indo-logie' ist: `der Logos von Indien'. Dabei drückt `Logos' umfassendes Wissen, `Indo-' den Gegenstand dieses umfassenden Wissens, also den Kulturraum Indiens in all seiner Geschichtlichkeit und Komplexität, aus. Aufgrund seiner geistigen Ausdehnung und kulturellen Ausstrahlung ist dieser Raum abstrakt und übergreifend. Er darf daher keineswegs mit den heutigen politischen Grenzen der unabhängigen Republik Indien einfach gleichgesetzt werden.

Indologie als eine akademische, zu den Geisteswissenschaften gehörende Disziplin, befaßt sich mit diesem Kulturraum in wissenschaftlicher Weise. Für eine Geisteswissenschaft sind Verstehen und Erklären die wichtigsten Zielsetzungen. Verstehen und Erklären durch die indologische Fachdisziplin richtet sich auf die eigentlichen Grundlagen für die geistigen und materiellen Kulturäußerungen, wie Indien sie in seiner mehrtausendjährigen Geschichte aus eigenem hervorgebracht hat. Die Eigenart Indiens beruht auf seinen besonderen, kulturell- autochthonen Grundmustern. Diesen wiederum liegen entprechend eigentümliche Denkmuster zugrunde. Unter "kulturell-autochthon" sind all jene spezifischen Muster des indischen Geistes und der in ihm gegründeten Kultur(en) zu verstehen, die aus eigenen Voraussetzungen herleitbar sind. Nicht aus eigenen Voraussetzungen herleitbare Muster wären demgegenüber solche, die kulturelle Fremdeinflüsse durch z. B. europäische oder nahöstliche Kulturkreise verraten. Demgegenüber gehören autochthon-indische Kulturmuster, wenn sie in nicht-indigen indische Räume hineinwirken, durchaus in den Bereich indologischen Forschungsinteresses.

Indologische Forschung ist methodisch betriebene Grundlagenforschung. Sie strebt als solche ausschließlich nach Wissen und ist von da her als eine reine Erkenntniswissenschaft zu werten. Im besonderen richtet sich ihr Streben auf den Erwerb von neuem, vertieftem Wissen um einen zusammenhängenden `Logos von Indien'. `Indien' meint hier den außereuropäischen, autochthon gewachsenen Kulturraum. Das letzte Ziel indologischer Grundlagenforschung aber ist neben der Erarbeitung handbuchreifer Fakten die Einordnung dieses Raumes in die größeren Zusammenhänge einer universellen Geistes-, Ideen- und Kulturgeschichte. Dies auch zu dem Zweck, unseren eigenen europäischen Standort innerhalb einer solchen Universalgeschichte zu ermitteln. Eine solche Ermittlung bedarf allerdings zahlreicher kultureller Beziehungskoordinaten, und dazu muß der menschliche Geist eben auch anderswo vermessen werden.

Die Indologie leistet dies für Indien. Sie ist somit weder ein "Sprachstudium" mit vorwiegend linguistischen, noch auch eine "Einzelphilologie" mit vorwiegend philologisch orientierten Zielsetzungen. Zuweilen allerdings wird das Fach aus oberflächlicher Perspektive irrtümlich damit gleichgesetzt. Den Grund dafür bildet eine Verwechslung der Methoden mit den Zielen indologischer Forschung. Die Begründer des Faches und seine maßgeblichsten Vertreter waren vor allem Vedisten und Sanskritisten gewesen. Nicht ohne tieferen Grund: Das Sanskrit war und blieb über unvergleichlich lange Zeiträume hinweg das einzig echte und wirklich universal verbreitete Sprachmedium, über weite Gebiete des südasiatischen Raumes erstreckt und dort kulturelle Identität stiftend bzw. vermittelnd. Es sind daher die Sanskrit-Quellen, die neben vielen anderen wichtigen Sprachdokumenten nach historischer Tiefe und systematischer Breite für die Forschung eben bei weitem am reichlichsten fließen. Die Auswertung dieser kulturgeschichtlich wertvollen Dokumente erfolgt selbstverständlich mit den entwickelten und bewährten Methoden historisch-kritischer Philologie. Diese wegen der besonderen Quellenlage gebräuchlichsten aber keineswegs einzigen Methoden dürfen allerdings nicht mit dem eigentlichen Gegenstand der indologischen Forschung, dem Kulturraum Indien, undifferenziert zusammengeworfen werden. Ein Fach, wie die Indologie es ist, kann keineswegs auf diejenigen spezifischen Methoden reduziert werden, die es für seine Grundlagenforschung aus den inneren Notwendigkeiten der besonderen Quellenlage anwenden muß.

Vor diesem Hintergrund ist Indologie klärlich eine reine Kulturwissenschaft. Mit Michael Witzel (Harvard) präziser gefaßt, eine "Kulturwissenschaft based on texts", bzw. "the study of a civilization based on texts".

Gleichwohl ist den historischen und systematischen Differenzierungen innerhalb dieses Kulturraumes durch Spezialisierungen und Schwerpunktbildungen Rechnung zu tragen. In Halle geschieht dies dadurch, daß besondere Akzente auf die Ideengeschichte der vielfältigen philosophischen und religiösen Strömungen Indiens gesetzt werden. Hierbei wird der Literatur-, Philosophie- und Religionsgeschichte sowie den gesellschaftlichen Normen im weltanschaulichen Kontext von Brahmanismus, Hinduismus, Buddhismus und Jainismus besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Deren Erforschung erfolgt mit den bewährten Methoden historisch- kritischer Philologie, auf der Basis des zugänglichen Quellenmaterials.

[Für den Inhalt verantwortlich: W. Slaje]

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