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Indo-Persische Übersetzungsliteratur aus der Moghulzeit (16/17. Jh.)

Der Mogulherrscher Akbar (reg. 1556-1605) verfolgte etwa seit 1575 eine Politik der Annäherung von Muslimen und Hindus. Den religiösen Vorbehalten von muslimischer Seite gegenüber den Anhängern der diversen hinduistischen Glaubenslehren suchte er durch ausführliche Informationen entgegenzuwirken. Zu diesem Zweck ließ er an seinem Hof Sanskrit-Persische Wörterbücher und Grammatiken erstellen sowie eine große Anzahl von Sanskrit-Texten aus dem Bereich der Religion, Philosophie, Mythologie, Astrologie etc. ins Persische übersetzen und zuweilen auch als Kopien an hohe Beamte und Offiziere im Land verteilen.

Trotz ihrer großen Bedeutung im Prozess der interkulturellen Hermeneutik ist diese umfangreiche Literatur weitgehend unbearbeitet geblieben und beinahe ausschließlich in Form von Handschriften zugänglich. Zwar hat sich die kunsthistorische Forschung bereits eingehender mit den illustrierten Manuskripten dieser Textgattung auseinandergesetzt, doch fehlt bisher eine philologische Untersuchung,die den Umgang der Übersetzer mit den religiös-philosophischen Konzepten der Sanskritwerke und die dazu eingesetzten sprachlichen Mittel erschließen könnte.

Bislang ist völlig unklar, wie die Übersetzer vorgegangen sind und welche Erwartungen an sie gerichtet wurden. Bestand ein genuines Interesse an einer möglichst genauen Durchdringung und Wiedergabe der Sanskrittexte? Lässt sich diesbezüglich ein Einfluß der exegetischen Traditionen indischer Paṇḍits feststellen? Waren die Übersetzer womöglich angehalten, im Einklang mit einem bestimmten politischen Kurs nach Gemeinsamkeiten zwischen Islam und Hinduismus zu suchen oder sollten sie die Unterschiede hervorheben?

Noch nicht erschlossen ist auch die Übersetzungstechnik an sich. So fragt es sich beispielsweise, ob eine – etwa dem Vorgehen tibetischer Übersetzer vergleichbare – direkte, schriftliche Übersetzung aus dem Sanskrit in das Persische erstellt wurde, oder ob es sich eher um einen diskursiven Austausch zwischen muslimischen und hinduistischen Gelehrten handelte, der das – möglicherweise über ein neusprachliches Medium vermittelte - „übersetzte“ Werk zum Ergebnis hatte.

Diesen Fragen, die grundsätzlich in Bezug auf die gesamte Übersetzungsliteratur von Interesse sind, soll nun in einem gemeinsamen Projekt zwischen Indologie und Islamwissenschaft am Beispiel der persischen Fassung des (Laghu-)Yogavāsiṣṭha („KurzesYogavāsiṣṭha") nachgegangen werden. Dieser Text geht auf einen vielleicht im10. Jh. in Kaschmir erstellten, 6000 Doppelverse umfassenden Auszug aus dem Mokṣopāya zurück. Dabei handelt es sich um ein philosophisches Lehrwerk, das sich, soweit rekonstruiert, in vielerlei Hinsicht von den orthodoxen Traditionen Indiens abhebt. Der Mokṣopāya ist derzeit nur zu einem geringen Teil, das Laghu-Yogavāsiṣṭha (LYV) noch gar nicht kritisch ediert. Im Laufe der Zeit hat eine sekundäre Version des Mokṣopāya unter dem Titel Yogavāsiṣṭha (YV) allgemeine Verbreitung in Indien gefunden, die Ergebnis mehrfacher redaktioneller bzw. exegetischer Eingriffe im Sinne der brahmanischen Orthodoxie, vor allem von Śaṅkaras Advaitavedānta ist. Obgleich von dieser Entwicklung nicht ausgeschlossen, repräsentiert das LYV eine ursprünglichereTextstufe, die näher am Mokṣopāya steht. Die persischen Übersetzungen des LYV dienen daher als wichtige Quellen sowohl für die Textkritik des Sanskrit-LYV als auch für die des Mokṣopāya.

Die ideengeschichtliche Bedeutung des LYV zeigt sich auch an der Aufmerksamkeit, die muslimische Herrscher dieser Version zukommen ließen: Aus der Mogulzeit liegen gleich drei Übersetzungen aus den Jahren 1597, 1602 und 1655 vor. Zu der Anziehungskraft des Werkes, gerade für Herrscher und Adelige, trug sicherlich das darin propagierte Ziel, die „Erlösung im [gegenwärtigen] Leben“ ohne die Notwendigkeit eines Rückzuges aus der Gesellschaft bei.

Um die eingangs genannten Fragestellungen bearbeiten zu können, wird zunächst, ausgehend von vergleichenden Probeübersetzungen eines ausgewählten Textabschnittes (Vairāgyaprakaraṇa) der Sanskrit-Editionund der persischen Versionen, eine Untersuchung der Übersetzungsmethode[n] und des verwendeten Vokabulars unternommen. Im Zuge der Ermittlung der indischen Vorlage ist geplant, später südindische Handschriften vergleichend einzubeziehen und somit erste Grundlagen für eine äußerst wünschenswerte kritische Edition des LYV zu schaffen.

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